Frau
R., das Reh und Morbus Raynaud
Frau
R., passionierte Jägerin, ballerte dereinst auf ein Reh und streckte
es mit einem einzigen Schuss in den Schnee. Nun ist und war es
Jägersehr´ ab dem Niederstrecken des Getiers eine halbe Stunde auf
der Stelle zu verharren, sollte sich eben dieses noch einmal vom
Totenbette erheben und versuchen angeschossen im Unterholz zu
verschwinden. Was Frau R. wusste: es war düsterer Abend, Winter,
kalt. Was nicht: Jahre später würde sie die Diagnose M.
Raynaud erhalten. In der
klirrenden Kälte unterhielten sich die Jägersmannen flüsternd, die
Worte entschwanden als Nebelschwaden. Frau R. aber schrie still in
sich hinein, der Schmerz kroch von den Fingern aus in den Körper und
machte sich breit, schlüpfte in die hintersten Winkel und krallte
sich fest. Die Kollegen hauchten ihr Jägerlatein in die Nacht,
ergötzten sich am sternenbehangenen Himmel, Frau R. an denen vor
ihren Augen. Mittlerweile schrie sie nicht mehr still. Die Finger
wohl verpackt aber weiß und klamm und kaum durchblutet. Die Zehen
ebenso. Die der Kollegen rosig warm und feucht.
Morbus
Raynaud oder
Weißfingerkrankheit oder Leichenfinger ist eine meist ungefährliche
Störung bei der es zeitweise zu einer Minderdurchblutung
kommt. Häufig sind die Finger betroffen, gelegentlich auch Zehen,
Nase oder bei stillenden Frauen die Brustwarzen. Diese
Minderdurchblutung kann Minuten bis Stunden dauern und ist meist die
Folge von Kälteeinwirkung (kurzer Griff in den Kühlschrank, ein
winterlicher Jagdausflug). Auch psychische Belastung (führt
bekannterweise zu kalten Händen) oder diverse andere Erkrankungen
können zu M. Raynaud führen.
Ursächlich
ist eine sympathische Störung, also eine Störung der sympathischen
Innervierung der betroffenen Gebiete, nicht eine nette. Diese Störung
der Innervierung führt dazu, dass Gefäße so stark verengt werden –
um Kälteverlust vorzubeugen – auf dass nicht wie „geplant“
weniger warmes Blut durch die Gefäße transportiert wird, sondern
fast gar keines mehr. Dadurch färben sich die betroffenen Areale
anfangs weiß später blau.
Kurz
gesagt biegen gewisse Nerven (Sympathikus) etwas zu früh ab oder
meinen es einfach nur zu gut.
Wir alle kennen das Gefühl erkaltender Hände und auch das der sich wieder erwärmenden, beides einhergehend mit Schmerzen und eben nicht bei der Minderdurchblutung wie bei M. Raynaud, sondern der geplanten geringeren. Um vieles unerträglicher können Schmerzen bei der Raynaud-Erkrankung sein. Zusätzlich besteht – bei schweren, anhaltenden Anfällen – die Gefahr von Nekrosen, also dem Absterben des Gewebes. Also stimmt es. Manchmal ist das Gegenteil von gut: gut gemeint.
Als
Intervention, Behandlungsmöglichkeit
bei M. Raynaud sieht man die Gabe von vasoaktiven Substanzen, Ginko
(= durchblutungsfördernd), Antidepressiva,
aber auch Durchtrennen des Sympathikus.
Neu und
doch bewährt bietet sich auch die Biofeedback-Therapie
an, immerhin erlernt man hier das willentliche Erweitern von
Blutgefäßen. Das heißt bei Kälteeinwirkung oder Stress kann man
vorbeugend Übungen durchführen um die extreme Konstrikion
(„Zusammenziehen“) der Gefäße zu mindern oder verhindern. Dazu
werden während den Biofeedback-Sitzungen Sensoren an den Händen,
Fingern oder anderen Arealen angebracht, die nicht nur Temperatur,
auch Gefäßsstellung auf einen Bildschirm übertragen. Durch die
sofortige Rückmeldung erlernt der Klient relativ schnell
willentliche Steuerung und bewusste Erweiterung der Gefäße und die
Anwendung im Alltag und beugt dadurch Raynaud-Anfällen vor.
Nachtrag
Das Reh
natürlich legte sich geradewegs im Augenblick des
nachtdurchschneidenden Schusses zur Ruh, um sich später dampfend
übers Geröll in den Wald aufzumachen, wo es heute noch an den
Wipfeln junger Tannen knabbert.
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