Mittwoch, 22. April 2015

Biofeedback und die Angst ODER "Als Herr M. mit der Eisenbahn fuhr und feststellte dass sein Herz klopfte..."

Herr M. ein gemütlicher Kerl und ein getriebener, stieg nach getaner Arbeit in den Intercity um in Fahrtrichtung sitzend in seinen Lernunterlagen zu schmökern. Einfach nur weil es möglich war, holte er die Matura nach, dann noch einmal das Selbe in anderen Fächern denn der Meisterkurs schien ihm nicht ausreichend, auch die Führungsposition nicht. Ein Studium stand an und die Geburt seines Sohnes. Offensichtlich hatte er es am Morgen eilig gehabt, denn beim Griff in seine schicke Herrenhandtasche stellte er fest – keine Unterlagen. Da saß er nun - ohne externen Input – gemütlich im Komfortsessel der ÖBB und kehrte in sich. Trotz des langen Tages, trotz der Querelen verspürte er weder Hunger noch Müdigkeit, noch den gelegentlich auftretenden Schwindel. Keine Verspannungen, keine Schmerzen. Sein Herz klopfte im gewohnten Rhythmus. Sein Herz klopfte. Pochte. Immer schneller. Unregelmäßig. Es hüpfte in der Brust, sprengte die Rippen. Eine unsichtbare Hand schien sich zwischen seinen Organen hindurch zu schieben um mit eisernem, kalten Griff sein springendes Herz zu umfassen. Herr M. verließ so bald als möglich den Zug, um sich in der Intensivstation des hiesigen Krankenhauses wiederzufinden. Da war er, in der fürsorglichen Hand des Gesundheitssystems und da blieb er. Eine Woche. Ohne Befund. Nach eben dieser Woche hatte er eine Konsultation beim Oberarzt. Da saß er neben der Tür, mit einer Leere im Kopf und der Feststellung: sein Herz pochte. Dies streckte Herrn M. abermals auf die Matte. Trotzdem konnten keine Auffälligkeiten festgestellt werden. Mit guten Wünschen und einer Packung Antidepressiva kehrte er in den schützenden Schoß der Familie zurück. Die weiteren Tage verliefen wie immer: Arbeit, Anforderung, Besorgnis, Familie, Perfektion in allen Dingen. Die Packung Antidepressiva ging dem Ende entgegen und so fand sich Herr M. in einer Warteschlange beim Arzt wieder. Und wieder: die eisige Hand packte zu.
? Hat Herr M. ein Herzproblem? Hat die eisige Hand Morbus Raynaud?
Warum, wenn Herr M. unbeschäftigt scheint, erleidet er eine Attacke?
Erfüllt Herr M., jungen Alters, in einer Umbruchphase, suchend, rastlos und auf seine physiologischen Vorgänge bezogen, die Merkmale einer Panikstörung?
Die Panikstörung aus dem Kreis der Angststörungen wird im ICD10 als wiederkehrende Angstattacke beschrieben, nicht auf spezifische Situationen oder besondere Umstände beschränkbar und daher auch nicht vorhersehbar. Wesentliche Symptome sind plötzlich auftretendes Herzklopfen, Brustschmerz, Erstickungsgefühle, Schwindel, Entfremdungsgefühle, Angst vor Kontrollverlust, dem Sterben oder wahnsinnig zu werden.
Offensichtlich litt Herr M. an eben dieser Angststörung. Die Situationen verschieden, aber immer in Ruhe. So konnte er sich auf seinen Herzschlag konzentrieren und diesen WILLENTLICH beschleunigen. Dies führte zu einem Hochfahren der Physiologie auf Überleben, zu Angst, Schmerzen und Schwindel. Er verließ den Zug vor allem, um vor den Mitreisenden nicht die Fassung zu verlieren, meinte an einer Herzattacke zu sterben und begab sich deshalb in die Intensivstation. Sein Zustand versetzte die Ärzte in Alarmbereitschaft, und dieses Angebot an Überversorgung machte Herrn M. klar: es liegt ein massives Problem vor. Die Angst nochmals so eine Attacke zu erleben schlich in seinen Körper und machte sich breit, dazu war er mit 25 Jahren im besten Alter.
Auslöser und Ursachen: Gelegentlich geht der ersten Attacke ein Ereignis voraus dass die vorhandenen Copingstrategien übersteigt. Kurz gesagt es handelt sich um einen Lernprozess. Oftmals ausschlaggebend ist auch die Neigung die Aufmerksamkeit nach innen zu wenden, sobald kein externer Input mehr erfolgt. Das heißt: in Ruhephasen wendet man sich nach innen und nimmt körperliche Vorgänge wahr, die immer schon da waren, nur eben nicht wahrgenommen. Dies kann zu Veränderungen in der Physiologie führen, oder eben der Wahrnehmung von (normalen) Unregelmäßigkeiten und der Bewertung als Gefahr. Voilà Panik, aufschaukeln, hochfahren, Gefahr, Panik, Panik, Panik, Angst vor der Panik. Panikstörung.
Intervention, Bewältigung: Neben der medikamentösen Behandlung zeigen vor allem kognitiv-verhaltenstherapeutische Intervention große Erfolge. Unterstützt man diese durch Biofeedback kann man die Wahrnehmung des Betroffenen mittels Sensoren kalibrieren. Was als Gefahr gewertet wird, wird sich am Bildschirm darstellen wie gemessen: Keine Gefahr, normale Vorgänge. Zu Nutze gemacht wird sich die Kopplung Gedanken, Wahrnehmung und Physiologie. Was sich in negativer Weise zu einer Panikattacke aufschaukeln kann, wird genutzt um WILLENTLICH Entspannung und Kontrolle herzustellen. Die Kombination aus kognitiver Verhaltenstherapie und Biofeedback greift also auf zweierlei Weise in das Panikgeschehen: Gedanken, Wertungen und Kognitionen auf kognitiver Seite sowie willentliche Steuerung der Physiologie, diesmal nicht in Richtung Angst sondern in Richtung Entspannung, Kontrolle und Vertrauen.
 
 
Nachtrag: Kürzlich wurde Herr M. Vater einer Tochter. Sein Herz dürfte so richtig geklopft haben, immerhin entschied sich die tapfere Gebärende erst Minuten vor der Niederkunft das Krankenhaus aufzusuchen. In der neuen Familienkutsche. Ohne Schonbezug. Wie gesagt neu. Die gute Nachricht: Herr M. und sein Auto sind wohlauf. Ach und die beiden Damen auch.

Freitag, 10. April 2015

Biofeedback und Morbus Raynaud, also megakalte Hände... Passung die 2.


Frau R., das Reh und Morbus Raynaud

Frau R., passionierte Jägerin, ballerte dereinst auf ein Reh und streckte es mit einem einzigen Schuss in den Schnee. Nun ist und war es Jägersehr´ ab dem Niederstrecken des Getiers eine halbe Stunde auf der Stelle zu verharren, sollte sich eben dieses noch einmal vom Totenbette erheben und versuchen angeschossen im Unterholz zu verschwinden. Was Frau R. wusste: es war düsterer Abend, Winter, kalt. Was nicht: Jahre später würde sie die Diagnose M. Raynaud erhalten. In der klirrenden Kälte unterhielten sich die Jägersmannen flüsternd, die Worte entschwanden als Nebelschwaden. Frau R. aber schrie still in sich hinein, der Schmerz kroch von den Fingern aus in den Körper und machte sich breit, schlüpfte in die hintersten Winkel und krallte sich fest. Die Kollegen hauchten ihr Jägerlatein in die Nacht, ergötzten sich am sternenbehangenen Himmel, Frau R. an denen vor ihren Augen. Mittlerweile schrie sie nicht mehr still. Die Finger wohl verpackt aber weiß und klamm und kaum durchblutet. Die Zehen ebenso. Die der Kollegen rosig warm und feucht.

Morbus Raynaud oder Weißfingerkrankheit oder Leichenfinger ist eine meist ungefährliche Störung bei der es zeitweise zu einer Minderdurchblutung kommt. Häufig sind die Finger betroffen, gelegentlich auch Zehen, Nase oder bei stillenden Frauen die Brustwarzen. Diese Minderdurchblutung kann Minuten bis Stunden dauern und ist meist die Folge von Kälteeinwirkung (kurzer Griff in den Kühlschrank, ein winterlicher Jagdausflug). Auch psychische Belastung (führt bekannterweise zu kalten Händen) oder diverse andere Erkrankungen können zu M. Raynaud führen.

Ursächlich ist eine sympathische Störung, also eine Störung der sympathischen Innervierung der betroffenen Gebiete, nicht eine nette. Diese Störung der Innervierung führt dazu, dass Gefäße so stark verengt werden – um Kälteverlust vorzubeugen – auf dass nicht wie „geplant“ weniger warmes Blut durch die Gefäße transportiert wird, sondern fast gar keines mehr. Dadurch färben sich die betroffenen Areale anfangs weiß später blau.

Kurz gesagt biegen gewisse Nerven (Sympathikus) etwas zu früh ab oder meinen es einfach nur zu gut.

Wir alle kennen das Gefühl erkaltender Hände und auch das der sich wieder erwärmenden, beides einhergehend mit Schmerzen und eben nicht bei der Minderdurchblutung wie bei M. Raynaud, sondern der geplanten geringeren. Um vieles unerträglicher können Schmerzen bei der Raynaud-Erkrankung sein. Zusätzlich besteht – bei schweren, anhaltenden Anfällen – die Gefahr von Nekrosen, also dem Absterben des Gewebes. Also stimmt es. Manchmal ist das Gegenteil von gut: gut gemeint.

Als Intervention, Behandlungsmöglichkeit bei M. Raynaud sieht man die Gabe von vasoaktiven Substanzen, Ginko (= durchblutungsfördernd), Antidepressiva, aber auch Durchtrennen des Sympathikus.

Neu und doch bewährt bietet sich auch die Biofeedback-Therapie an, immerhin erlernt man hier das willentliche Erweitern von Blutgefäßen. Das heißt bei Kälteeinwirkung oder Stress kann man vorbeugend Übungen durchführen um die extreme Konstrikion („Zusammenziehen“) der Gefäße zu mindern oder verhindern. Dazu werden während den Biofeedback-Sitzungen Sensoren an den Händen, Fingern oder anderen Arealen angebracht, die nicht nur Temperatur, auch Gefäßsstellung auf einen Bildschirm übertragen. Durch die sofortige Rückmeldung erlernt der Klient relativ schnell willentliche Steuerung und bewusste Erweiterung der Gefäße und die Anwendung im Alltag und beugt dadurch Raynaud-Anfällen vor.

 
 
 
Nachtrag
Das Reh natürlich legte sich geradewegs im Augenblick des nachtdurchschneidenden Schusses zur Ruh, um sich später dampfend übers Geröll in den Wald aufzumachen, wo es heute noch an den Wipfeln junger Tannen knabbert.